Donnerstag, 5. Mai 2016

Tag 13: Der bisher schönste Tag.

Tag 13/17: Samstag, 30.04.2016

Bahnhof Biała Pilska nach Piła 
6 h / 26 km


Urks, schon wieder dieser Bahnhof... Den Hauptbahnhof von Piła kenne ich inzwischen in- und auswendig, den Fahrkartenautomaten in der Wartehalle meistere ich lässig, ohne das Bedienmenü auf Englisch umzustellen. So viel Erfahrung mit Bahnreisen in Polen wollte ich eigentlich gar nicht haben.

Am Bahnhof und im Zug ohne Ende Radfahrer. Rowerowe, rowerowe, rowerowe. Mit Gepäck, Schlafsack und/oder Zelt obendraufgeschnallt. Es freut mich zwar außerordentlich, daß in Polen dieses Wochenende offensichtlich fleißig gezeltet und geradelt wird, aber nach den letzten einsamen Wochen  irritiert mich das dermaßen, daß ich das Internet nach irgendwelchen terminlichen Besonderheiten befragen muß. Und siehe da: Am Dienstag ist Nationalfeiertag, ich erinnere mich dunkel an diverse Straßen, durch die ich gegangen bin, die nach dem 3. Mai benannt wurden. Offensichtlich gibt es hier auch die gute Sitte des Kurzurlaubs mit Brückentag... Vielleicht liegt's aber auch am Europaradweg R1, der in Piła Station macht. (Einschub: Das Internet verrät mir am Abend, daß dieser Fernradweg auch über Berlin, durch Polen, Litauen und Lettland bis nach Estland verläuft. Kommt mir irgendwie bekannt vor...)


In Biała Pilska bin ich natürlich trotz aller Radler im Zug der Einzige, der auf den Bahnsteig hüpft, ich mache noch schnell ein Foto zum Abschied und stiefele los. Vorhin in Piła habe ich im Wind noch gefroren, aber hier in der Sonne wird's langsam richtig warm. Die erste halbe Stunde Weg ertrage ich mit Fassung, es ist derselbe Weg, den ich mich vergangene Woche mit wunden Füßen zum Bahnhof geschleppt habe. Allerdings: Heute geht sich das alles viel leichter, schöner, netter. Eigentlich so entspannt, wie ich von meinen früheren Reisen her kenne.

Am Gartenzaun vor dem hutzeligen Haus wartet schon neugierig das Großmütterchen (Kopftuch ja, Zähne nein, Verständigung bis auf ein gegenseitiges Lächeln schwierig). Jeder erzählt dem Anderen was, ich winke zum Abschied und ziehe weiter den Weg entlang. Der Holzstapel an der Kreuzung, auf dem ich vor einer Woche saß und mit mir haderte, ist verschwunden. Ich werte das als gutes Zeichen und biege nach rechts in den Wald ab. Ab jetzt komme ich wieder richtig voran bzw. - um den Spruch endlich mal einzubauen - ab jetzt darf der Weg wieder das Ziel sein. Und der Weg schnuppert! Nach warmer Waldluft, nach Sonnenstrahlen auf Kiefernnadeln und Waldboden, nur der Wind pfeift ab und zu kalt durch die Bäume und löscht für einen Moment alle Gerüche aus.

Später im Wald stolpere ich über die Reste eines alten Friedhofs, den wohl erst kürzlich jemand aus einer verwilderten Strauch- und Buschlandschaft ausgegraben hat. Auf den Gräbern stehen noch die frisch abgesägten Stümpfe von jungen Bäumen und ich versuche mir vorzustellen, wie es hier wohl ausgesehen haben muß, bevor alles freigeschnitten wurde. Nur einige wenige Grabsteine sind übrig geblieben, die letzten noch lesbaren Inschriften datieren zurück auf 1850 bis 1922. Primus, Muth, Hillgens. Auch hier: Deutsche Namen, Reste der Geschichte, über die der 2. Weltkrieg hinweg gefegt ist.

Ich sitze einige Zeit auf der Bank neben dem Friedhof, ziehe meine Stiefel aus und blinzele entspannt in die Sonne. Die Bank ist erfreulich breit, in jedem Fall breit genug für ein kleines Nickerchen.
Nichts ist zu hören außer dem Wind in den Bäumen und dem Summen einiger Insekten. Irgendwo da hinten am Waldrand muß so was wie eine Fischzucht sein, die aber natürlich auch eher wenige Geräusche macht und die Zeit vergeht, während ich sehr zufrieden mit der Welt bin. Da stört auch die kleine Zecke nicht weiter, der ich unmißverständlich klarmachen muß, daß sie an meinem Bein nix zu suchen/saugen hat.

Zur Feier des Tages gibt es heute sogar einen markierten Wanderweg, der mich angeblich bis nach Piła führen soll. Ich traue dem Frieden nicht so ganz, freue mich aber über die abwechslungsreichen Wege, über die ich geschickt werde.




Breite Forststraßen, matschige Feldränder, sandige Wüsteneien. Zwischen Pferdekoppeln, kleinen Häusern und alten Bahnhofsgebäuden durchgeschlängelt, am Waldrand in der Sonne Pause gemacht. Ich inspiziere meine Füße und könnte jubeln vor Glück, weil auch nach 4 Stunden Weg keine Blase und keine Druckstelle zu sehen ist. Und endlich ist es mal so warm, daß ich zum ersten Mal seit Wochen meine Jacke ausziehen kann.

Irgendwas ist anders. Ich bin mir noch nicht ganz sicher, was es ist, aber vielleicht komme ich langsam richtig in Polen an. In den ersten Wochen begleitete mich oft eine leichte Beklommenheit, wenn ich aus dem Wald trat und wieder in die Nähe von Siedlungen kam. Als hätte ich da nix zu suchen. Als wäre ich da unerwünscht. Als müsste ich mich rechtfertigen. Gestern Abend in Piła fühlte ich mich schon sehr zuhause in der Fremde. Heute schwimme ich in ruhigen Zügen durch die Landschaft, als wäre sie nur dazu da, um von mir durchwandert zu werden. Heute stehe ich vor schönen alten Backsteinbauten und fotografiere sie, ohne mir Gedanken darüber zu machen, ob jemand davon Notiz nimmt. Heute macht echt Spaß.

Auf Schleichwegen pirsche ich mich nach Piła hinein, vorbei an verfallenen Industrieanlagen mit vergangenem Glanz, durch Wohngebiete mit spielenden Kindern und grillenden Männern. Nur halb zufällig komme ich an der Straßenecke raus, an der ich schon letzte Woche bei Biedronka einkaufen war. Ich fülle den Rucksack lustvoll mit kiloweise Getränken: Mineralwasser mit extra viel Kohlensäure, dem guten Kefir aus Krasnystaw, Eistee und einem Bier für heute Abend. In meinem Apartment ziehe ich die Stiefel aus, inspiziere meine Füße (ohne Befund!), spüle mir unter der Dusche das Salz des Tages von der Haut und freue mich schon richtig auf die morgige Tour.

Endlich.

1 Kommentar:

  1. Lieber kilian, ich freue mich für dich, dass es endlich für dich mit einem guten Gefühl auf Reisen gehst. Jetzt wird alles gut. Viel Spaß und Erfolg
    Liebe Grüße Sonja

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