Samstag, 23. April 2016

Tag 11: Rucke di guh, rucke di guh...

Tag 11/13: 18.04.2016
Załom nach Trzcianka
7,5 h / 32 km

Auch der nächste Morgen ist eine wahre Augenweide. Kühl, sonnig, klar. Der Tag beginnt mit 4km auf der Straße bis nach Człopa, dem nächstgrößeren Ort. Bis dahin trage ich brav das Paket mit den ausgedienten Wanderkarten in der Hand, das ich auf der Post nach Hause schicken will. Sieht irgendwie doof aus, aber im Rucksack war nicht wirklich Platz.

Kurz vor Człopa kommt mir ein alter Mann auf einem Klapprad entgegen, um das sich in Berlin wahrscheinlich die Hipster prügeln würden. Von seiner Gesprächslawine verstehe ich Null, aber der große Rucksack scheint ihn zu beeindrucken. Also versuche ich zu erklären: "Niemcy, Berlin, Człopa, Piła, Polska, Litwa, Łotwa, Estonia" und mache dazu mit den Fingern das gehende Männchen. Er ist entsetzt und macht mit dem Finger eine Geste, als würde er sich ein Messer an den Hals halten. Ist das die gut gemeinte Warnung, daß sie mir ihm Osten bestimmt die Kehle durchschneiden werden? Keine Ahnung. Auf jedem Fall verabschieden wir uns mit festem Blick, rechter Hand auf dem Herz und drauffolgendem Handschlag und jeder zieht weiter seiner Wege. Und ich bin plötzlich stolz wie Bolle.

Die Post in Człopa ist in einem herrlich sowjetischen Zweckbau mit vergitterten Fenstern untergebracht, drinnen sitzt nur eine gelangweilte Dame am Tresen und - null - Dorfbewohner, die gerne irgendwelche Rechnungen zahlen wollen. Ich gebe mein Paket auf und schlage mich an ein paar Einfamilienhäusern vorbei in den Wald. Sandwege, Sandwege, Sandwege.

Heute morgen war ich schon um 08:45 auf der Straße, im Bewußtsein, daß dies ein langer Tag werden wird. Entsprechend früh habe ich Lust auf eine Mittagsrast, für die ich einen perfekten Platz in der Sonne finde: Am See, auf einem Steg. Unten im glasklaren Wasser sehe ich Fische, Teichmuscheln und Wasserpflanzen. Meine Wirtin hat mir zum Abschied noch Stullen und einen Apfel als Wegzehrung in die Hand gedrückt, die ich jetzt gegen die allgegenwärtigen Ameisen verteidige. Zum ersten Mal fühlt sich die Sonne fast nach Sonnenbrand an und eigentlich will ich kaum wieder aufstehen. Aber vor mir liegen heute noch viele Kilometer Weg durch den Wald.

Hinter dem nächsten Dorf (Jaglice) suche ich ein bißchen nach dem richtigen Weg aus den zahlreichen Sandpisten durch den Wald. Vor mir liegt ein großes zusammenhängendes Waldgebiet, Teil der Puszcza Drawska. Und außer ein paar Holzfällern mit einem uralten Traktor, die irgendwo da hinten zwischen den Bäumen Holz schlagen, sehe ich in den nächsten Stunden keine Menschenseele. Statt dessen sitze ich am frühen Nachmittag auf einem in der Sonne duftenden Holzstapel, genieße die Wärme und schaue den Hummeln dabei zu, wie sie die Farben meiner Wanderkarte höchst interessant finden. Ich entledige mich der Wanderstiefel, die Füße schmerzen hart vom Laufen auf den Sandwegen, weil sie im weichen Untergrund ständig stabilisieren müssen.


Eine Stunde bevor ich auf der anderen Seite des Walder wieder auf freies Feld treffe, stolpere ich wieder über einen der uralten Steinpfeiler. An einer Weggabelung wachsen mittig einige Buchen, dazwischen der mindestens 70 Jahre alte Wegweiser, der noch den alten deutschen Namen von Jaglice zeigt: Jagolitz.

Am See beginnt sich die Landschaft langsam wieder mit Häusern zu füllen. Neubauten, Ferienlager, Kirche. Dazwischen ein Sklep, den ich unverständlicherweise links liegen lasse. Eigentlich hätte ich schwer Bock auf ein Getränk gehabt, aber irgendetwas in mir redet mit ein, daß ich ja sowieso bald am Ziel bin. Was objektiv gesehen ziemlicher Quatsch ist. Der Weg führt mich sicher noch mindestens 1,5h an verschiedenen Seen entlang bis zu meinem Ziel.

Der Trampelpfad am See entlang ist optisch recht ansprechend, bringt mich aber den Rand der Verzweiflung. Jede Wurzel und jeder Stein, auf den ich trete, sticht in den Füßen. Jedes Stück Weg, bei dem ich irgendein Gefälle ausgleichen muß, zwingt mich danach zu einer Minute Pause, um den Schmerz weg zu atmen. Wäre ich doch verdammt nochmal einfach auf der Straße geblieben, da ist wenigstens alles eben wie ein Brett.

Die letzte Stunde bis zum Hotel ist dann auch eher absurd. Ich keuche und ächze und stöhne den Sandweg neben dem See entlang, überquere ein noch eingewintertes Strandbad, vorbei an den Riesen-Plastiken von einheimischen Fischen, die die lokale Tourismus-Initiative offenbar zu einem Fischwanderweg ausgebaut hat. Ich fotografiere einige der Biester, verliere aber schnellstens auch wieder die Lust dazu.

Mein Hotel entpuppt sich als eine Art Sportlerheim zwischen Fußballplatz und Tennishalle. Atmosphäre und Abendessen sind entsprechend, aber der eigentlich schlimme Teil des Abends findet im schummerigen Bad meines kleinen Einzelzimmers statt: Die Begutachtung der Blasen. Durch die lange Etappe heute habe ich mir am linken Fuß eine daumendicke Blase gelaufen, an einer Stelle, wo eine alte Blase gerade am Abheilen war. Noch schlimmer steht es um den rechten Fuß: An der Ferse prangt eine neue Blutblase. So ein Ding habe ich bisher noch nie gehabt. Was für ein Schlag für die Motivation...

Mehr als ein Kotlett verdrücken und im Bett rumliegen bringe ich heute Abend nicht fertig. Meine Vorfreude auf morgen hält sich in Grenzen. Irgendwas läuft hier schief. Irgendwas muß passieren. So kann es nicht weitergehen. So will ICH nicht weitergehen.

1 Kommentar:

  1. hey Kilian,
    mal überlegt, ein zweites paar sehr leichter, lockerer Turnschuhe zu kaufen. Die könntest du im Wechsel tragen oder wenn der Nachmittag kommt um die Füße zu entspannen auf den letzten Metern.. so kann das ja wohl nicht weitergehen!

    AntwortenLöschen