Sonntag, 24. April 2016

Tag 12: Notbremse

Tag 12/14: 19.04.2016
Trzcianka nach Piła
...

Am nächsten Morgen wird mir immer klarer, daß ich ein Problem habe. Nach dem Aufstehen sehe ich, daß die große Wasserblase am linken Fuß über Nacht noch gewachsen ist, vielleicht ist auch das Blasenpflaster Schuld, das ja mit Magic irgendwie eine zusätzliche Polsterung aufbaut. In meine Freizeitschuhe passe ich noch irgendwie, um zum Frühstück zu tapsen, aber als später die Stiefel anziehe...
Trotzdem gehe ich los. Kühl, sonnig, windig. Die klassische Morgenkombination. Ich fühle mich statt dessen wie im Fieberwahn, weil ich eigentlich nur krampfhaft versuche, möglichst schonend zu gehen. So langsam kommt Verzweiflung in mir auf. Ich trage dieselben Stiefel und dieselben Wandersocken wie bei meiner letzten langen Tour vor 4 Jahren. Sicher, während der erste Tage hat's auch damals manchmal gedrückt und gezwackt, aber so ein lang anhaltendes Fußdesaster wie in den letzten Tagen habe ich noch nie erlebt.

Nach guten 1,5h setze ich mich am Waldrand in die Sonne, esse zwei Kiwis und überlege, was hier eigentlich los ist. Meine Füße sind im Eimer - ok, daß ist unangenehm und irgendwie nachvollziehbar. Schlimmer ist, daß offensichtlich immer wieder dieselben Stellen betroffen sind, obwohl ich jeden Tag pflege, polstere und pflastere. Jedesmal, wenn eine Blase gerade auf dem Weg der Besserung ist (z.B. nach einem Pausentag), laufe ich mir ein neues Exemplar obendrauf und der Horror beginnt von Neuem.

Woran es liegt? Ich kann nur mutmaßen. Vielleicht ist der deutlich schwerere Rucksack (zusammen mit dessen Träger, der in den letzten Jahren auch nicht leichter geworden ist) daran Schuld, daß meine Füße eigentlich mehr Platz bräuchten als früher. Denn tatsächlich fühlen sich meine Stiefel inzwischen eher zu eng als zu weit an.

Aber die Frage nach der Anpassung der Stiefelsituation ist eigentlich der zweite vor dem ersten Schritt. Viel wichtiger ist es, meinen Füßen ein paar Tage Zeit zum Heilen zu geben. Also entschließe ich mich, in den Schummelmodus einzutauchen und den Rest der Tagesetappe mit dem Zug abzukürzen. Piła ist immerhin eine etwas größere Stadt, dort werde ich ein paar Tage Auszeit nehmen. Und vielleicht bekomme ich dort meine Stiefel eine Nummer größer. (Obwohl: Ich kaufe mir seit Jahren dieselben Stiefel immer wieder 1:1 neu, weil ich einfach so zufrieden mit ihnen bin...)

Also biege ich ab zur Bahnstrecke, die ca. 2km östlich von mir verläuft. Das Schicksal schenkt mir nochmal eine schöne intensive Gelegenheit, über meine Entscheidung nachzudenken, indem mir der Zug vor der Nase wegfährt. Verbittert mache ich noch schnell ein Foto, so als kleine Erinnerung. Immerhin, ein schöner ehrlicher Bummelzug mit einer fetten Diesellok vornedran und genau einem Wagon dahinter. Der nächste Zug geht in ca. 2,5h. Na, vielen Dank. Der Bahnhof Biała Pilski hat außer zwei Metallbänken und einer Infotafel nix, woran sich der Reisende erfreuen könnte. Also stelle ich mich statt dessen an die Landesstraße 180, die parallel zur Bahnstrecke ebenfalls nach Piła führt. Daß man hier zum Trampen nicht den Daumen raushält, sondern die flache Hand bei nach unten abgewinkeltem Arm, hab ich schon mal irgendwo gelesen.

Trotzdem stehe ich eine Ewigkeit an der Straße, und keine Sau hält an. Ob es an der Scheiß-Stelle (eigentlich kein guter Platz zum Anhalten, aber ich wollte mir die Option des Bahnhofs nicht verbauen), meinem Riesen-Rucksack oder generellem Unwillen lag, vermag ich leider nicht zu rekonstruieren. Nach knapp 2h an der Straße habe ich die Schnauze voll, latsche wieder rüber zum Bahnhof, setze mich auf die Metallbank in den Wind. Während ich schon deutlich friere, gibt es ein paar Regentropfen, um die Szenerie endgültig in die Trostlosigkeit zu ziehen.

Als irgendwann der Scheiß-Zug endlich da ist, bin ich einfach nur froh, endlich aus dem Wind zu sein. Eine Viertelstunde später steige ich in Piła aus dem Zug, laufe durch eine mittlere Stadt, die noch deutliche Züge der sozialistischen Städteplanung trägt. Dank Handy und Internet habe ich mir für 3 Nächte ein schickes Apartment zum gleichen Preis gebucht, den ich auch für das abgeranzte Sowjet-Hotel am Ort bezahlt hätte. Alles klappt super, trotz nur einer Stunde Vorwarnzeit trifft sich die Vermieterin pünktlich mit mir vor der Haustür.

Rausgehen und Einkaufen kriege ich nicht mehr hin, nachdem ich erst einmal die Schuhe ausgezogen habe und so verbringe ich den Abend bei Leitungswasser, Schokoriegeln und fiesen Gedanken in einem "Studio-Apartment", das so aussieht, als hätte sich das Büro Rehahn beim Bau einer Loftwohnung für eine Fernsehserie ausgetobt. Unten im Haus gibt's ein Beauty-Institut inkl. Botox-Behandlung -- was für eine andere Welt. 

Auf der einen Seite ärgere ich mich, daß ich mich gezwungen fühle, wieder in diese Welt einzutauchen. Auf der anderen Seite weiß ich, daß es die richtige Entscheidung ist. Der Zustand meiner Füße ist offensichtlich ein Problem, das sich nicht von alleine löst, nur weil ich es ignorere (auch wenn ich das in meinem jugendlichen Leichtsinn gerne so gehabt hätte). Hier in der Stadt habe ich wenigstens alle Möglichkeiten, um das Problem zu lösen: Übernachtungsmöglichkeiten, Sportgeschäfte, Schuhläden.

Die nächsten Tage werden zeigen, welche Lösung ich finden werde. Das heißt leider auch, daß es jetzt für ca. 3 Tage auf dieser Seite sehr ruhig werden wird. Aber ich glaube, ich spreche sowieso schon genug über meine Füße. Auf ein tägliches Update mit Fotos kann die überwältigende Mehrheit des Internet sicherlich verzichten.

I'll be back.


4 Kommentare:

  1. Mein Lieber Kilian, halte durch !!!! gib dir und den Füßen eine Chance und vor allem, lass uns schön mitlesen. Es ist eine Freude zwischendurch deinen täglichen Bericht zu genießen und auf eine virtuelle Weise mitzulaufen. Ich war heute nachdem ich aus der Wüste von Las Vegas/NAB (Messe) zurück bin, stark versucht mich ins Auto zu werfen und vorbei zu schauen... die Versuchung war groß. LG TUKIE wieder in BLN

    AntwortenLöschen
  2. Hallo Kilian, ich bin froh, dass Du nicht ganz aufgibst, sondern nur eine Pause einlegst und das ist auch richtig so. Ich hätte schon längst aufgegeben. Ich wünsche dir weiterhin viel Erfolg. Bis bald. Sonja

    AntwortenLöschen
  3. Kilian!
    Ich fahre aktuelle jeden Tag bei Globetrotter vorbei.
    Schreib mir und ich kauf Dir!
    viele Grüße!
    Jens (aka horror)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Verdammt! Ich hätte gerne das Mysterium um "Horror" noch ein wenig weiter gehegt und gepflegt...

      Löschen