6,5 h / 23 km
Buckow nach Seelow
Der Tag beginnt, wie er gestern endete: Mit Knaller-Sonne. Als ich um 10:00 aus der Haustür trete und in Richtung Dorf-Edeka loslaufe, ist es trotzdem noch erstaunlich kühl. Is dit ne Inversionswetterlage, so im Buckower Talkessel?
Noch vor dem Frühstück hatte ich mir die erste Zecke vom Oberschenkel gezupft, dann alle Blasen nochmal frisch getaped und mir nochmal ganz dolle Mut zugesprochen. Laufen geht, aber es tut immer noch verdammt weh. Wenigstens habe ich das Gefühl, daß es nicht noch schlimmer geworden ist.
Der Tag tut alles, um es mir so angenehm wie möglich zu machen. Nach einem kleinen romantischen Anstieg zu Anfang wartet eine sonnengeflutete Wiese mit strategisch positionierter Bank. Mich packt noch nicht mal das schlechte Gewissen, als ich mich - 10 min nach dem Start - erstmal ne Viertelstunde in die Sonne setze und die Augen schließe. Es geht durch Buchenwälder, Wege mit raschelndem Laub aus dem letzten Herbst, kein Mensch zu sehen. Nur die Abdrücke von Nordic-Walking-Stöcken im Boden lassen erahnen, daß hier touristisch was los sein könnte. Am Großen Klobichsee wird's sumpfig und ich bereue fast ein bißchen, mich nicht doch zu dem kleinen Umweg durch das Stöbbertal aufgerafft zu haben. Wenn alle Buckower Wander-Informationstafeln davon schwärmen, muß doch was dran sein. Daß die Märkische Schweiz schön ist, hatte ich noch irgendwo in meinem Hinterkopf abgespeichert, aber so schön hatte ich sie nicht in Erinnerung.
Hinter Münchehofe lasse ich um Punkt 12:00 den angebotenen Picknicktisch mit dazugehörigem Häuschen links liegen, weil er quasi direkt an der Straße steht. Ich setze mich lieber einen Kilometer weiter an einen Baum am Waldrand, packe ein paar Radieschen aus und mampfe eine glückliche Mittagsrast. Und so langsam fällt mir wieder ein, was solche Wandertouren eigentlich erst zum Genuß macht: Mittags eine Stunde unter einem Baum im Gras dösen. Die Füße in einen kühlen Bach hängen. Stehenbleiben, um den Kühen auf der Weide zuzuschauen. Mit einem Eis in der Hand auf einem fremden Marktplatz sitzen. Mit einem Wort: Innehalten. Habe ich die letzten Tage offensichtlich vollkommen vergessen...
Als ich halbe Stunde später gerade die Bahnlinie überqueren will, grüßt freundlich ein älterer Herr aus einem tollen alten Schrankenwärterhäuschen mit einem vor Blüten und Knospen explodierenden Garten. Ich grüße freundlich zurück und als er mich zehn Minuten später mit seinem Auto auf dem holperigen Kopfsteinpflaster überholt, bietet er an, mich ein Stück mitzunehmen. "Falls Du noch einen langen Weg vor Dir hast..." Ich lehne stolz ab und kaum ist sein Auto über den nächsten Hügel verschwunden, wünscht sich ein Teil von mir, daß ich doch ein paar Kilometer mitgefahren wäre. Denn der Schmerz in den Füßen bleibt leider die Konstante des ganzen Tages.
Später am Nachmittag kippt die Stimmung etwas. Die Landschaft ist nach wie vor höchst gefällig, aber ich gerate wieder in den alten Trott: "Weiter! Ankommen! Duchhalten!". Die letzten Kilometer bis Seelow sind dann endgültig kein Spaß mehr. Das frisch angelegte Wegenetz für die Schwertransporte der vielen Windräder lässt die Feldmark wirken wie ein verlängertes Gewerbegebiet. Kurz vor dem Ziel überquere ich überrascht eine fette Umgehungsstraße um Seelow herum, die auf meiner Karte noch gar nicht existiert. Dahinter verfranse ich mich sofort zwischen den Stallungen eines gigantischen Mastbetriebes. Eigentlich wollte ich da quer durch, aber ich sehe nur Schilder, Zäune und Tore. Da hinten ist noch ein anderer Weg. Ich frage den alten Mann mit Hund, ob man da bis zur Hauptstraße durchkommt. Als er antwortet, brauche ich bis zu seinem dritten Satz, um sicher zu sein, ob er jetzt Deutsch oder Polnisch spricht. Er empfiehlt mir, an der Friedshofsmauer entlang zu laufen, auch "wenn das nicht so gerne gesehen wird". Damit ist die Nationalitätsfrage ja wohl auchgeklärt.
Dafür lande ich quasi direkt im Vorgarten meines Hotels, das kluge Investoren in der Hoffnung auf Reichtum irgendwann in den 90er-Jahren an die Seelower Hauptstraße geklatscht haben (wahrscheinlich: als es die Umgehungsstraße noch nicht gab). Der Laden wird eindeutig auf Verschleiß gefahren, aber das ist mir heute wurscht. Die Dusche ist heiß und ich kann mir den Staub und Schweiß des Tages abwaschen.
Später laufe ich rüber zur benachbarten Tankstelle, hole mein Paket ab, in dem mir meine neue Kamera geliefert wird (Klein! Leicht! Ohne zusätzliches Netzteil aufladbar! Gewichtsersparnis 1200%!). Oh, ihr logistischen Segnungen des modernen Online-Versandhandels... Während ich am Tresen warte, höre ich noch dem Tankwart zu, wie er einer Kundin voller Inbrunst erklärt, warum "Total Excellium Diesel" besser sei als der Standard: Da sind nämlich mehr Adjektive drin. Und schon bin ich wieder versöhnt mit der Welt.
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