Bahnfahrt Berlin - Piła
Mein Zug brennt. Nach der Nahverkehrs-Bummelzug-Pleite letzte Woche (Piła-Krzyz-Kostrzyn-Lichtenberg in 6,5 h) habe ich für die Rückreise nach Piła die vermeintlich mondänere Variante gewählt. Tatsächlich bietet der Berlin-Warszawa-Express (den man nüchtern auch EC45 nennen könnte) in den Waggons der PKP zunächst mal erfreulich viel Platz und Komfort.
Doof nur, daß zwischen Rzepin und Świebodzin erst irgendein Kokelgeruch zu riechen ist, dann ab und zu vor meinem Fenster irgendwelcher Qualm im Fahrtwind verwirbelt wird, mein Sitznachbar mich ein paar Minuten später auf die alarmierende Aussicht aus dem Fenster am Schluß des Zuges aufmerksam macht (fette Qualmwolke hinter dem Zug), der Schaffner kurz darauf im Laufschritt durch den Gang hechtet und diverse neugierige Fahrgäste beiseite schieben muß -- und am Ende der Zug auf freier Strecke eine Vollbremsung hinlegt. Irgendwas brennt unter meinem Waggon. Da ich kein Polnisch spreche, schaue ich entspannt dem Schaffner zu, wie er auf dem Bahndamm mitten im Wald den Inhalt zweier Feuerlöscher im Bereich Toilette/Türhydraulik entleert und weil die PKP nicht die Deutsche Bahn ist, wird danach die Fahrt in aller Ruhe fortgesetzt. Als der Zug in den Bahnhof von Poznań einfährt, haben wir nicht mal mehr Verspätung... I love PKP.
I hate Poznań Główny. Bei dem an sich einfachen Versuch, von Gleis 2 nach Gleis 6 zu wechseln, lande ich erst im Parkhaus, dann im Einkaufszentrum, dann im Busbahnhof. Irgendwann dann auch in der Bahnhofshalle. Es ist Freitagnachmittag und halb Polen will verreisen. Die Schlangen an den Fahrkartenautomaten sind um die 25m lang, vor den Fahrkartenschaltern nochmal deutlich länger. Angesichts einer vollen Stunde Puffer zu meinem Anschlußzug stelle ich mich vollkommen entspannt an einem der Automaten an, stürme später mit hunderten anderer Reisenden eine uralte Elektritschka und bin froh, mir für die nächsten zwei Stunden noch einen Platz zu sichern.
In Piła setze ich mich vor dem Bahnhofsgebäude in die Abendsonne und warte auf die Vermieterin meines Apartments, die angeboten hat, mich am Bahnhof einzusammeln. Es ist warm draußen, es fühlt sich an wie ein kleiner kühler Sommerabend. Später bekomme ich Lust auf Pizza, laufe quer durch die Stadt zur Tawerna Toscana. Für einen boshaften Moment fällt mir wieder ein, wie häßlich Piła eigentlich ist, überall nur Plattenbau und Mief.
Aber im Stadtpark sehe ich von Weitem Veranstaltungsaction, das Monsterhotel aus Sowjetzeiten sieht plötzlich im richtigen Licht gar nicht mehr so schlimm aus, im nächsten Park riecht es intensiv nach frisch gemähtem Rasen. Die Kellnerin in der Tawerna spricht besser Englisch als ich, und nach einem glücklichen Abendessen trete ich hinaus in die kühle Nacht.
Durch die Stadt schallt laute Musik, im Stadtpark spielt eine Band auf der Bühne. Klingt wie die polnische Version von Depeche Mode, also interessant. Entgegen meiner Gewohnheiten laufe ich rüber, lausche und gucke ein bißchen und freue mich, in der Masse vollkommen unter zu gehen.
Im nächsten Sklep kaufe ich ein Gutenacht-Warka, begleitet von den kichernden Kommentaren der Jugend hinter mir in der Schlange, als ich versuche, ohne Polnisch der Dame an der Kasse klarzumachen, daß ich gerne eine Dose und keine Flasche hätte. Am Ende lohnt sich der Aufwand: Die Bierdose ist dermaßen kalt, daß mir fast die Finger abfrieren.
Auf dem Weg in mein Apartment muß ich daran denken, wie scheiße und wie schlimm ich Piła noch vor einer Woche fand. Als ich hier festsaß. Und nicht weiter wußte. Heute Abend gehe ich durch eine für mich komplett verwandelte Stadt, zärtlich freue ich mich darüber, daß anscheinend alle unter 40 heute Abend auf den Beinen sind. Auch wenn ich hier fremd bin, fühle ich mich heute Abend so, als würde ich ein Stück dazugehören.
Und das - fühlt sich verdammt richtig an.
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