Sonntag, 8. Mai 2016

Tag 16: Und jetzt bitte ein Stück Kuchen!

Tag 16/20: Dienstag, 03.05.2016
Grillhütte am See nach Sępólno Krajeńskie
6,5 h / 28 km

Die Nacht war kalt, wahrscheinlich knapp über Null. Im Schlafsack ging es einigermaßen, aber wenn mal aus Versehen der Arm raushing, wurde es doch empfindlich kalt. Sommerschlafsäcke haben halt ihre Grenzen. 
Gleichzeitig war es eine sehr ruhige Nacht. Ich habe mehr oder weniger durchgeschlafen, es gab keinen Besuch vom Förster F, obwohl ich eigentlich fast damit gerechnet hätte. Das Forsthaus liegt nur gut 3 km entfernt und hat einen direkten Weg zu dieser Wiese, wie mir ein Blick auf meine Karte verraten hat. Ich als Förster hätte gestern Abend (also dem Abend vor dem heutigen freien Feiertag) auf jeden Fall mal nachgeschaut, ob sich auf der Wiese die Dorfjugend niedergelassen hat. Andererseits - welche Dorfjugend? Hier gibt's ja nicht mal ein richtiges Dorf in der Nähe...

Die mühevoll austarierte Platzierung des Zeltes zahlt sich aus, noch während ich mich schlaftrunken im Schlafsack räkele, fallen die ersten Sonnenstrahlen auf das Zelt und füllen diese kleine Welt mit leuchtend gelbem Licht (dem Gelb des Innenzeltes...). Die Sonne trocknet Tau und Kondenswasser von ganz alleine, während ich auf der Picknickbank in den Morgen blinzele. Frühstück fällt mehr oder weniger aus, weil das Brot und der Käse von gestern inzwischen noch weniger einladend wirken. Ein Liter Wasser füllt den Magen ja auch irgendwie.

Es herrscht Feiertagsgelassenheit. In den Dörfern gehen die Menschen spazieren, es wird im Gemüsebeet gearbeitet oder über den Gartenzaun gequatscht. Zwei Rentner gehen zum Grillen rüber zu den Nachbarn -- er trägt den Grill, sie die riesige Salatschüssel. An der Bushaltestelle hinter Radonsk steht eine radelnde Familie mit Panne, Papa hat das Fahrrad auf den Kopf gestellt und repariert irgendwas, Mama und Kind sitzen entspannt in der Sonne im Gras. Wir unterhalten uns kurz auf Deutsch, zum Abschied ernte ich ein "Bon voyage!" und ich muß sofort an das Wandern in Frankreich vor vier Jahren zurückdenken.

Nur die ersten zwei Stunden des Tages hatte ich das Privileg, im Wald zu laufen. Der Großteil der heutigen Tour findet auf stillen Landstraßen statt, zwischen Feldern, Dörfern und kleinen Waldstücken. Das ist optisch abwechslungsreich, aber am frühen Nachmittag sehe ich mich nach einem stillen schattigen Platz für eine ausgiebige Mittagspause. Hinter dem letzten Bauernhof von Lutowo werde ich fündig: Es riecht zwar derbe nach Schweinegülle aus dem Betonreservoir nebenan, aber es gibt einige große Findlinge zum Sitzen im Schatten eines großen Baumes. Stiefel aus, Socken aus, Füße ins kühle Gras. Ich lese ein bißchen und schaue über die Felder in die Ferne, bis mir seltsamerweise der Geruch von Bärlauch in die Nase steigt. Wo zur Hölle soll denn hier am Feldrand Bärlauch wachsen? Ist doch eigentlich gar nicht die richtige Umgebung? Gleichzeitig passt das dazu, daß ich in den letzten Tag schon mehrfach Bärlauch in der Nase hatte, ihn aber trotz Suchen nicht finden konnte. Nach ein paar Minuten dämmert es mir: Wilder Schnittlauch. Sieht aus wie normaler Schnittlauch, schmeckt aber viel intensiver. Bärlauchiger. Ich pflücke mir ein Händchen voll und plötzlich ist das labberige Brot von gestern wieder sehr lecker.

Die letzte Stunde vor Ankunft laufe ich oberhalb eines Sees entlang, vorbei an frisch gepflanzten Einfamilienhäusern mit tief zerfurchten sandigen Zufahrten. An einem alten Bauernhof, dessen Bauer aufgrund des Feiertages in Anzug, Krawatte und Arbeitsjacke darüber seine Hühner füttert. Ich bewundere das Gartenhäuschen, das sich ein Typ aus dem Kofferaufbau eines LKW der norwegischen Post gebaut hat. Der Himmel zieht sich dabei langsam zu und verspricht Regen. Ich ziehe das Tempo an, weil ich mich auf mein Hotel, eine Dusche und was Ordentliches zu Essen freue. Kurz bevor ich ankomme, fallen die ersten Tropfen vom Himmel. 

Der Hotelparkplatz ist rappelvoll, das Restaurant ebenso. Der Laden liegt sehr schön außerhalb von Sępólno Krajeńskie im Wald und direkt am See, daneben Strand und Steg und Ausflugsflair. In mir wabert seit Stunden die Fata Morgana eines Kännchen Tees und eines riesigen Stück Kuchens zum Feiertagsnachmittag, aber das scheint ein singulärer Traum des wandernden Deutschen zu sein. Kuchen gibt's leider nicht und außer der klassischen Abendkarte ist hier nix zu holen. Also lieber rauf aufs Zimmer, und als ich gerade auspacke, beginnt draußen der Regen. Nachdem ich gefühlt das komplette heiße Wasser auf der ganzen Welt weggeduscht habe, liege ich eine Stunde in meinem frisch bezogenen Bett, durch die offene Balkontür strömt die kalte Regenluft von draußen herein. Zelten ist super, aber nach dem Zelten frisch geduscht in frischer Bettwäsche zu liegen ist einfach unschlagbar.

Ich gehe runter ins Restaurant und esse ein etwas karges Abendessen, von dem ich nicht satt werde. Der Regen prasselt währenddessen ruhig und stetig auf den Wintergarten des Hotelrestaurants nieder. Die Nachmittagsgäste sind alle verschwunden und ich bin wieder mal der einzige Gast einer mäßig gelaunten Kellnerin. Der Abend wird nicht mehr besser werden, also verziehe ich mich wieder aufs Zimmer. Und mit der gleichen Entspannung, mit der ich heute durch den Tag gelaufen bin, stellt sich nun der Regen auf eine lange Nacht ein.

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