Wymysłowo nach Tleń
7,5 h / 30 km
Es wird immer wärmer. Für heute sind 23° angekündigt und schon die erste halbe Stunde zurück über die Landstraße bis zum Waldrand erinnert mich an Hochsommer. Vielleicht noch 10° mehr, später im Juli? Schwer vorstellbar...
(Finde den Fehler...) |
Ich stapfe auf tiefen sandigen Wegen durch einen knallgrünen Wald, der vor sonnigen Flecken nur so funkelt. Es riecht nach Sommer, nach Waldboden, und überhaupt ganz einfach herrlich. Außer meinen heuschnupfenbedingten Niesattacken stört nichts die Stille dieses Waldes, auch nicht der etwas seltsame Typ, der mir eine halbe Stunde später entgegen kommt. Ich hab ihn erst gar nicht wahrgenommen, weil er sich so langsam bewegt hat, sein Fahrrad über den Sandweg schiebend, in zerlumpten schwarzen Arbeitsklamotten, jeden Augenkontakt panisch vermeidend. Doch genauso plötzlich wie er auftauchte, ist er auch wieder weg.
Auf der anderen Seite des Waldes ahne ich an dem Geräusch von Kreissägen, daß das nächste Dorf nicht weit sein kann. Ich verzichte darauf, für die nächsten Kilometer der Straße zu folgen und schlage mich statt dessen auf schmalen Feldwegen durch die Landschaft. Die Sonne knallt mit voller Kraft vom Himmel, aber ein leichter Wind macht das Gehen zu einem gleitenden Vergnügen. Jetzt nur keinen Sonnenbrand bekommen...
Unterhalb der Bahnlinie hat der Bauer seine Kühe auf der Wiese angepflockt. Die Tiere sind neugierig und zutraulich, nur die rote Kuh in der Mitte flippt aus, als ich auf dem Weg an ihr vorbeigehen will. Vielleicht ist das da auf er anderen Seite des Weges ihr Kalb (für das es etwas groß geraten wäre)? Während die Kuh ausflippt, gewaltig an ihrer Kette reißt und ich mich gerade frage, wie tief der Halt gebende Pflock wohl in der Erde stecken mag, kommt natürlich der Bauer samt Traktor um die Ecke. Um die Situation zu retten, schlage ich einen weiten Bogen über die Wiese um die gesamte Herde herum -- und siehe da: Kuh beruhigt sich, Bauer grüßt freundlich, Wanderer wird nicht vom Bauern erschossen.
Cekcyn, der nächste größere Ort, serviert zuerst einen top gepflegten kommunalen Strand mit Liegewiese, Volleyballplatz, Badestegen, Kinderbecken, Umkleidekabinen, Zeltplatz, geschlossenem Kiosk und ähnlichen touristischen Errungenschaften. Ich entere sofort den Steg, um meine kochenden Füße ins Wasser zu halten, aber -- meine Beine sind zu kurz. Es fehlen gerade mal 10 cm, also muß ein kurzes Benetzen unter Aufwendung einiger Gymnastikeinlagen ausreichen. Viel wichtiger ist mir, bei der ganzen Veranstaltung nicht in den See zu fallen. Also setze ich mich lieber auf die Bank unter den Baum, trinke meine Wasserflaschen leer und lese eine knappe Stunde, bis die Kirchenglocken Mittag schlagen.
Auch im Anschluß hält Cekcyn den zunächst hoch angesetzten Standard aufrecht: Erstmal ein gut sortierter Sklep mit gut gelaunten Verkäuferinnen, denen ich tonnenweise Getränke abkaufe. 300 Meter weiter ein Groszek, in dem ich ein zitroniges Eis erstehe. Und kurz vor dem Bahnhof noch ein dritter Laden (Und das in einem Kaff mit 1.700 Einwohnern. Man vergleiche das bitte mal mit Deutschland...), den ich aber trotz Lust auf Kefir und Kabanosy links liegen lasse. Die ersten beiden Läden waren schon Shopping-Streß genug.
Statt dessen gucke ich jetzt einem jungen Bernhardiner am Dorfrand zu, der in seinem Zwinger Turnübungen macht. Auf das Dach der Hundehütte gehüpft, einmal in alle Richtungen umgedreht, und weil auf der anderen Seite zwischen Hütte und Zaun relativ wenig Platz zum Landen ist, springt der kluge Hund mit den Vorderpfoten an die Oberkante des Zauns und lässt sich dort abprallen, um mit den Hinterläufen zuerst auf dem Boden aufzukommen. Anders herum wäre er durch seinen Schwung wohl eher mit dem Kopf gegen den Zaun geknallt. Herrchen repariert währenddessen seelenruhig seinen Sitzrasenmäher, ohne die Kunststückchen zu beachten.
Der Rest des Tages verläuft im Wesentlichen nach dem bekannten Schema "geradeaus durch den Wald", ich schalte mein Hirn aus und schwimme in schier endlosen Kiefernwäldern. Die wenigen Dörfer, durch die ich laufe, liegen still in der Sonne. Manchmal wird irgendwo Brennholz geschnitten, vor dem Sklep sitzen zwei Männer und trinken sich eins, eine alte Frau fegt den Platz vor der Kirche. Beschauliches Dorfleben, von außen nur flüchtig beim Hindurchhuschen gesehen.
In Tleń öffnet sich plötzlich wieder die große weite Welt des touristischen Wassersportangebots. Überall Werbeschilder für Zimmer, Kajakverleih, Imbiß. Das, was der Wanderer wirklich will (nämlich natürlich einen ordentlichen Sklep), gibt es hingegen nicht. Ich schätze, daß ich morgen Abend wieder im Zelt landen werde, also hätte ich mich gerne noch mit irgendwas zu Essen bevorratet, aber der örtliche Lewiatan ist so eng und duster und gestapelt voll mit Ware, daß ich mich mit Rucksack überhaupt nicht bewegen kann, ohne irgendwas umzuwerfen. Eingeschüchtert greife ich mir eine Flasche Mineralwasser, zahle 2,50 PLN und fliehe aus dieser Falle.
Mein Hotel für heute Abend ist allerdings wieder auf der Habenseite des Lebens. Zwar ziehe ich erneut die Schicksalsniete des Einzelzimmers im Treppenhaus, aber wozu gibt es Oropax. Als ich gerade frisch geduscht auf dem Bett liege, höre ich von draußen vor dem Haus zwei bekannte knarrende Stimmen: Das amerikanische Ehepaar von vorgestern... Verfolgen die mich jetzt auch noch die nächsten Tage?
Als ich beim Essen sitze, sind sie allerdings schon wieder verschwunden. Das Hotelrestaurant ist klasse: Ich genieße hausgebrautes Bier, eine sehr herzhafte Wurstplatte als Vorspeise und ein klasse Hauptgericht aus Pasta und mit Pilzen gefüllter Hähnchenbrust. Plus Nachtisch. Für unter 20 EUR. Zum Zapfenstreich fährt eine Feuerwehrkolonne mit vollem Sirenengedröhn vorbei, dazwischen ein uralter Traktor mit der kompletten Feuerwehrjugend auf dem Anhänger. Offensichtlich habe sie diverse Jungfrauen im Nachbardorf gestohlen. Hupen, Winken, Helau und Juchei. Keine Ahnung, warum -- aber dieses Gefühl habe ich ja in Polen schon zu Genüge kennengelernt. Nicht immer alles hinterfragen, einfach zugucken und genießen reicht manchmal auch.
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