Rakowiec nach Kwidzyn
4,5 h / 18 km (halber Tag, wa?)
Scheiße geschlafen, trotz Oropax. Erst ewig unruhig hin und her gewälzt, dann komischen Kram geträumt, schwitzend aufgewacht. Das Frühstück absolviere ich mißmutig, bis zu dem Moment, in dem unerwarteterweise ein perfekt cremiges Rührei zu meinem ansonsten trostlosen Tellerfrühstück vor meiner Nase landet und mich daran erinnert, die schön Polen sein kann.
Wie schön ist Polen eigentlich überhaupt? Auf jeden Fall schöner, als ich gedacht habe. Wilder, leerer, abenteuerlicher. Wenn Polen allerdings häßlich ist, dann aber richtig. Dann kommen die quadratischen Häuser mit Flachdach wieder aus den Gruselkabinetten, der Müll am Straßenrand, die überdimensionierten Werbeschilder, die halbfertigen Villen-Rohbauten, deren Bauherren reihenweise das Geld ausgegangen ist, der staubige Rauch der Kohlefeuerung, der die Nachbarn im Garten vollqualmt.
Heute sehe ich davon erstmal nichts -- ich überquere nur kurz die große Straße vor meinem Gasthof, biege auf einen unscheinbaren Sandweg ein und finde einen entspannten Wanderweg durch ein kleines Naturreservat mit Fluß, Sumpf und Wald, dazwischen alte Flußarme, wie man sie aus dem Biobuch kennt. Vor dem Gasthof hing glücklicherweise eine große Tafel, auf der die markierten Wanderwege der Region eingezeichnet waren, und diese Tafel wußte einiges mehr als meine grobe Landkarte.
Also folge ich für die nächste Stunde blind der weiß-gelb-weißen Markierung. Und das rächt sich. Mein Bauchgefühl sagt mir ganz klar, daß ich hier im Kreis laufe und ein Blick auf die Karten-App läßt dieses Bauchgefühl nicht weniger werden. Ich murre innerlich, füge mich aber dem Weg, weil ich es a) nicht besser weiß und b) nicht eilig habe. Vielleicht haben die klugen Wegmarkierer ja den Umweg eingebaut, um ein Highlight mitzunehmen, z.B. einen Aussichtspunkt, von dem aus man schick die Weichsel fotografieren könnte. Nicht ganz, aber tatsächlich gibt es am Waldrand schonmal einen kilometerweiten Ausblick über das Flußtal auf Kwidzyn, mein heutiges Etappenziel am anderen Weichselufer. Inklusive Burg Marienwerder, schick in roter Backsteingotik.
Weiter unten im Dorf laufe ich an einem Haus vorbei, eine alte Frau werkelt im Garten, auf der Leine hängt frische Wäsche und duftet. Mein wunder Punkt: Der Geruch von frischer Wäsche auf der Leine. Es gibt keinen Geruch und kein Symbol, der für mich mehr mit dem Privileg des eigenen Zuhause verbunden ist -- und gleichzeitig das Gegenteil von dem darstellt, was ich gerade tue. Mein Zuhause ist gerade die Straße. Ich wasche meine Wäsche im Handwaschbecken in Gasthöfen, irgendwo an der Landstraße im Nirgendwo. Und in diesem Moment beneide ich die alte Dame unendlich ob ihres Gartens und ihrer Wäscheleine.
Ein paar hundert Meter weiter schaue ich zufällig nach links und sehe auf einem verwilderten Grundstück eine alte halbverfallene Kirche. Das Tor im Zaun ist offen, ein Trampelpfad führt auf das Grundstück - offenbar eine Abkürzung für die Einheimischen. Ein Stück weiter die Reste des alten Friedhofs, überwuchert und vergessen. Seltsamerweise grenzt der aktuelle - katholische - Friedhof des Dorfes direkt an diese Wildnis des Verfalls an, mit gut besuchten, gepflegten und dekorierten Gräbern. (Wikimapia verrät mir am Abend, daß es eine evangelische Kirche war, trotz des Davidsterns im Turm.) Ein seltsamer Ort mitten im Dorf, ein Ort an dem die Zeit stehengeblieben ist, während rund herum das Dorfleben weitergeht.
Weiter unten im Dorf laufe ich an einem Haus vorbei, eine alte Frau werkelt im Garten, auf der Leine hängt frische Wäsche und duftet. Mein wunder Punkt: Der Geruch von frischer Wäsche auf der Leine. Es gibt keinen Geruch und kein Symbol, der für mich mehr mit dem Privileg des eigenen Zuhause verbunden ist -- und gleichzeitig das Gegenteil von dem darstellt, was ich gerade tue. Mein Zuhause ist gerade die Straße. Ich wasche meine Wäsche im Handwaschbecken in Gasthöfen, irgendwo an der Landstraße im Nirgendwo. Und in diesem Moment beneide ich die alte Dame unendlich ob ihres Gartens und ihrer Wäscheleine.
Ein paar hundert Meter weiter schaue ich zufällig nach links und sehe auf einem verwilderten Grundstück eine alte halbverfallene Kirche. Das Tor im Zaun ist offen, ein Trampelpfad führt auf das Grundstück - offenbar eine Abkürzung für die Einheimischen. Ein Stück weiter die Reste des alten Friedhofs, überwuchert und vergessen. Seltsamerweise grenzt der aktuelle - katholische - Friedhof des Dorfes direkt an diese Wildnis des Verfalls an, mit gut besuchten, gepflegten und dekorierten Gräbern. (Wikimapia verrät mir am Abend, daß es eine evangelische Kirche war, trotz des Davidsterns im Turm.) Ein seltsamer Ort mitten im Dorf, ein Ort an dem die Zeit stehengeblieben ist, während rund herum das Dorfleben weitergeht.
Neben der Schnellstraße führt ein breiter Gehweg über den Fluß, aber außer mir geht da heute keiner. Auf dem Scheitelpunkt der Brücke muß ich an die polnische Nationalhymne denken, den Mazurek Dąbrowskiego:
"Marsz, marsz, Dąbrowski..."
"Przejdziem Wisłę, przejdziem Wartę, będziem Polakami..."
"Marsch, marsch, Dąbrowski..."
"Wir werden Weichsel und Warthe durchschreiten, wir werden Polen sein..."
Die Warthe habe ich schon vor einigen Wochen überquert, jetzt die Weichsel dran. Polen ist zur Hälfte geschafft und ich stehe neben der brausenden Schnellstraße im Wind, freue mich über die Aussicht und bin stolz wie Bolle. Und vielleicht frage ich in ein paar Wochen mal nach einer Teilzeitmitgliedschaft im "Club Polen".
Auf der anderen Seite des Flusses empfängt mich ein Sklep, der mich zuverlässig mit saukalten Getränken und einem Eis versorgt. Schnurgeradeaus und bretteben wandere ich an der Straße entlang, die früher zur Weichselfähre führte -- jetzt ist sie von neuen Einfamilienhäusern gesäumt. Der Geruch (nicht: Duft) einer Kaffeerösterei schiebt sich etwas unpassend ins Bild, ist aber auch schnell wieder vorbei. Der Wind erleichtert das Gehen in der Mittagshitze, die sich nicht wie Mitte Mai anfühlt, sondern eher wie Juni oder Juli.
Die Burg Marienwerder kommt wieder in Sicht und erinnert mich leicht an ihre große Schwester in Malbork. Ich stelle fest, daß mein Apartment für heute Nacht direkt neben der Kathedrale und dem Museum liegt und überlege ernsthaft, ob ich angesichts des "halben Wandertages" noch ein wenig Kulturprogramm einbauen sollte. Aber erstmal den Schlüssel von der etwas humorlosen Apartment-Vermieterin abholen...
Kurz nach dem Ankommen bin ich noch voll im Erledigungsmodus ("Du MUSST heute endlich mal einige Klamotten waschen!") und sortiere meine Wäsche. Eigentlich will ich schon seit Tagen waschen, aber es scheiterte entweder an Waschbecken ohne Stöpsel, akuter Unlust oder daran, daß meine Pensionswirtin schlicht vergessen hatte, die Waschmaschine anzustellen. Im Bad finde ich: Eine Waschmaschine! Ui! Und vor der Haustür ist ein Sklep, da gibt es bestimmt Waschmittel! Aber vorher schauen wir nochmal in alle Schränke -- na bitte, Waschmittel ist sogar vorrätig. Also werfe ich die Waschmaschine an, dusche mir eins und habe eine 1a Entschuldigung, daß ich die nächste Stunde einfach nur glücklich auf meinem Bett herumliege, denn: Ich muß ja noch die Wäsche aufhängen, wenn sie fertig ist. Mehr zuhause auf Reisen geht nicht.
Kulturprogramm fällt aus, das Museum schließt schon am mittleren Nachmittag. Ach, DAS ist aber schade... Naja, dann habe ich wenigstens einen guten Grund, hier nochmal als normaler Tourist (= mit Auto) her zu kommen.
Kwidzyn hat tatsächlich richtig Bevölkerung und eine Fußgängerzone, ich okkupiere die Terrasse eines Pizzaladens und sitze in der Abendsonne herum. Die Pizza ist riesig und gut, und obwohl ich keine Soßen wollte, gibt's wieder Extra-Soßen zur Pizza dazu. Pah, die können von mir aus in der Sonne gammelig werden. Ich trinke mein Bier aus, schlendere noch ein bißchen durch die abendliche Stadt und suche einen Geldautomaten für mein schwindendes Bargeld (fündig werde ich nach 15 min Stadtrundgang direkt neben der Terrasse des Pizzaladens), kaufe mir im Sklep gegenüber meines heutigen Zuhauses noch ein Gute-Nacht-Bier und hoffe beim Einschlafen inständig, daß die Kathedrale direkt vor meinem Fenster morgen Früh nicht rumklingelt.
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