Dienstag, 10. Mai 2016

Tag 18: Bummeltag mit Wohlfühlmaximierung.

Tag 18/22: Donnerstag, 05.05.2016
Zelt Nähe Zamrzenica nach Wymysłowo
7,5 h / 25 km 

Schön und ruhig war die Nacht auf meinem Waldparkplatz nicht gerade... Die Nähe zur Straße hatte zur Folge, daß ich eigentlich immer mit einem Ohr wach war, um zu horchen, ob ein Auto auf den Parkplatz abbiegt. Die Hunde aus dem Dorf und den einzelnen Häusern in der Umgebung waren gut vernetzt und haben sich regelmäßig und lautstark darüber informiert, was in der Region heute Nacht so abgeht. Höhepunkt diesbezüglich war irgendein größeres Vieh, das irgendwann in der Nacht unterhalb meines Zeltes am Fluß entlang durchs Unterholz preschte, dabei undefinierbare Geräusche zwischen Bellen und Grunzen von sich gab und in einem weiten Bogen über die Straße wieder im Wald verschwand. Alle Hunde im Umkreis von 2 km flippten parallel aus. Danach schlief ich nicht mehr allzu gut -- vor allem das Nicht-Wissen, was das denn eigentlich gerade war, kann einen in den Wahnsinn treiben.


Besuch von Familie Wildschwein gab's in jedem Fall auch, ich habe sie den Weg am Hang hochtrappeln hören, aber nach ein paar Mal laut rufen und in die Hände klatschen haben sie sich wieder davon gemacht. Auch wenn ich mich immer wieder dazu gezwungen habe, alle Geräusche draußen zu ignorieren, war die Nacht eher ein halbschlafenes Dösen statt eine gute Mütze voll Schlaf. Wie soll das erst im Baltikum werden, wenn ich den Wald noch mit ganz anderen Tieren teilen werde? Vertreibe ich die Viecher dann einfach mit dem angstvollen Schlottern meiner Zähne? Offensichtlich liegt da noch Einiges an Abhärtung vor mir...

Ein Gutes hat die kurze Nacht: Ich komme sehr früh in die Gänge. Frühstück fällt aufgrund von Lebensmittelmangel aus, und schon um 08:00 Uhr stehe ich mit fertig gepacktem Rucksack auf dem Parkplatz und ziehe los. Vorbei an dem einzelnen Haus ca. 1 km weiter nördlich, die Stimmlage des bellenden Haushundes ist mir von letzter Nacht noch bestens bekannt. Der Weg schlängelt sich hart am Steilufer der Brda entlang, ein schmaler Pfad zwischen Wald und Fluß. Irgendwann stolpere ich wieder auf einen breiten Waldweg, nur 10 m vom Förster entfernt, der erstmal irritiert innehält, seine Bäume zu markieren. Das Gespräch stockt an der üblichen Stelle, aber als ich meine Niemcy-Polska-Litwa-Lotwa-Estonia-Pantomine aufführe, formen sein Gesicht und sein Mund ein erstauntes "O". Ich ernte einen Handschlag und Daumen hoch, wir winken zum Abschied und jeder widmet sich wieder seiner Tätigkeit. Jetzt habe ich also auch den Segen vom Förster. Ein seltenes Gut.

An der nächsten Brücke über die Brda sitze ich erstmal ein wenig in der Sonne auf dem Steg herum, lasse die Füße kurz im eiskalten Wasser baumeln und als ich mich gerade halb über die Kante des Steges ins Wasser beuge, um meine Trinkflaschen aufzufüllen, erschrecke ich mich fast zu Tode, weil plötzlich eine Radfahrerin hinter mir steht. Ich falle nicht ins Wasser, grüße statt dessen tapfer und schwinge mir zügig den Rucksack auf den Rücken. Wo eine Radfahrerin ist, sind bestimmt auch noch mehr.

Nachdem ich so früh losgelaufen bin, habe ich mehr als genug Zeit zu verplempern. Also folge ich nicht der deutlich kürzeren Forststraße, sondern wähle den verschrobenen Weg unten am Fluß entlang. Und werde mit einer wildromantischen Wanderung durch ein herrliches Flußtal belohnt. Kein Haus, keine Straße, kein Auto. Nichts. Vielleicht ein wenig wie das Bodetal im Harz, nur komplett ohne Touristen und ganz für mich alleine. Erst eine gute Stunde später führt der Trampelpfad wieder auf eine uralte Kopfsteinpflasterstraße, vorbei an erstaunlich großzügig angelegten Biwakplätzen für all die Kajakfahrer, die hier offensichtlich im Sommer den Fluß bevölkern. Anlegestege, extra Paddelständer und Kajakregale, Waschhäuschen und eine geschlossene Recepja-Baracke künden davon, daß hier irgendwann im Jahr mal die Hölle los sein muß. Daß jetzt noch nicht wirklich Saison ist, kann ich angesichts der aktuellen Wassertemperatur vollkommen nachvollziehen.

Der Tag schlendert sich da dahin, es ist sonnig bei vielleicht 20°, ich habe noch mehr Zeit als sonst und auch nicht so rasend viel Weg vor mir. Hände in den Hosentaschen.

Bei Rudzki Most treffe ich wieder auf eine Asphaltstraße, sehe auf meiner Wanderkarte, daß keine 300 m weiter ein Hotel an der Straße liegt. Das klingt für mich sofort nach Mittagessen. Einerseits weiß ich nicht sicher, ob ich in meinem Quartier heute Abend überhaupt was zu Essen bekommen werde (liegt fast alleine mitten im Wald und ist wohl eher eine Agroturystyka denn ein Hotel). Andererseits gilt die alte Wanderregel: Was drin ist, ist drin.

Und so sitze ich auf der Terrasse eines etwas schrägen Hotelklotzes, trinke sehr viel Mineralwasser, esse Żurek mit extra viel Fleischeinlage und insgesamt 2 Eiern drin, Pierogi mit Fleisch und Pilzen und bin danach so voll wie schon ewig nicht mehr. Ich schaue der Katze zu, die eben noch unter dem Gezeter des Koches aus der Küche geflitzt ist und jetzt entspannt unter dem Sonnenschirm auf dem Rasen liegt. Das Bild passt irgendwie zu meinem Tag.

Die letzten 1,5 h bis zu meiner Unterkunft bummeln sich so weg. Vorbei an einem traumhaften Forsthaus, alleine im Wald gelegen, daneben Wiese und Bach, es riecht leicht nach Holzfeuer im Kamin. Und auf der Zufahrt knirscht der Kies... Weiter hinten hat das Wandern im Wald und am Fluß ein plötzliches Ende, ist stehe auf der Asphaltstraße in der sengenden Sonne, Autos brausen links und rechts an mir vorbei und ich kann nichts anderes tun, als den Kopf zu senken, bis ich endlich auf die staubige Sandpiste zu meiner Übernachtungsstätte abbiegen kann.

Dort allerdings wird es plötzlich wieder schick. Ein altes Anwesen, offenbar in den letzten Jahren ständig erweitert. Pferdekoppel, Picknicktische, Wildgehege, Indianermuseum (?why?), ein vielversprechendes Żywiec-Schild über der Terrasse mit Holzmöbeln. Und ja, es gibt Essen, es gibt viele kalte Getränke, es gibt sehr schöne neue Zimmer mit viel Holz. Für 26 EUR inkl. Frühstück. Die Chefin des Hauses spricht perfekt deutsch, weil sie bis vor wenigen Jahren in Berlin gewohnt hat, sie zeigt mir noch das Schwimmbad und den Whirlpool und spätestens jetzt weiß ich, daß ich meinen eigentlich für übermorgen geplanten Pausentag vorziehen und noch eine Nacht länger hier bleiben werde.

Als ich nach Duschen und einem kleinen Nachmittagsschläfchen zum Essen runtergehe, bestelle ich doch nur eine Gurkensuppe, weil ich von meinem Mittagessen immer noch ziemlich vollgestopft bin. Von der Terrasse aus beobachte ich die Rehe am Waldrand, nippe an meinem belgischen Bier und sauge nebenbei das Internet leer.

Der Abend endet mit Touristenfernsehen: Ein älteres amerikanisches Ehepaar fährt im gemieteten Renault auf das Gelände und hält sofort alle auf Trab. Das Zimmer passt ihnen nicht, sie inspizieren diverse Alternativen, sind angesichts von "No CNN?!" entsetzt, erklären weit ausholend daß diese Zimmer für sie nicht akzeptabel sind ("These might be suitable for younger people!"), sie stehen noch ewig auf dem Parkplatz herum und lassen sich von der einzigen Englisch sprechenden Mitarbeiterin den Weg nach X erklären ("No, we need a landmark!") und den Weg nach Y ins Navi einprogrammieren, müssen alle nach ihren Namen fragen ("Paulina, you might be a distant relative! My husband's grandfather was baptized in this area. What's your last name again? You need to come visit us back home!") und -- ach... Es ist ein herrliches Schauspiel, während ich kichernd auf der Terrasse sitze und mein Bier trinke. Als die arme Paulina die beiden nach einer guten halben Stunde endlich losgeworden ist und erledigt die Treppe zur Restaurantterrasse herauf kommt, kann ich mir ein breites Grinsen nicht verkneifen. Sie auch nicht.

Eine knappe Stunde später sind Bill und seine Frau wieder da. Haben wohl doch nix Adäquates in Tuchola gefunden. Gibt nämlich nix, hihi... Sie belegen erst zwei getrennte Zimmer auf meiner Etage, später ist dann irgendwie nochmal Aufruhr und sie ziehen in das Apartment im 1. Stock um. Ich habe erlauscht, daß die beiden seit 3 Wochen auf Reisen sind -- geht das denn jeden Abend so?

Ich hingegen schmeiße mich glücklich aufs Bett und freue mich auf meinen freien Tag morgen. Von letzter Nacht trage ich noch ein echtes Schlafdefizit mit mir herum, also wird es nur eine Frage von Augenblicken sein, bis ich wegdöse.

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