Montag, 16. Mai 2016

Tag 23: Murks, Murks, Murks!

Tag 23/28: Mittwoch, 11.05.2016
Kwidzyn nach Prabuty (Bahnhof)
6,5 h / 27 km 

Bis zu dem Moment, in dem ich den Schlüssel zu meinem Apartment in den verabredeten Briefkasten werfe, ist alles gut. Danach beginnt der Murks.

Erstmal zum Start des Tages quer durch die Stadt, ich lege die Sonnenbrille an, schalte auf Durchzug und laufe die Warszawska raus. Schickes Rathaus, ansonsten Plattenbauten, Baumärkte, Vormittagsverkehr. An sich nichts Ungewöhnliches, aber irgendwie will es mir heute einfach nicht schmecken.


Gestern Abend beim Kartenstudium habe ich mich entschieden, den grün markierten Wanderweg einzuschlagen, der eigentlich direkt bis Prabuty führen sollte. Mich hätte vielleicht stutzig machen sollen, daß er auf der Karte auf weiten Strecken einfach so quer durch den Wald gezeichnet war, statt wie sonst irgendwelchen Feldwegen zu folgen. "Am Ortsausgang nach dem Bach links abbiegen!", habe ich mir gemerkt. Mache ich auch. Von der Wegmarkierung nix zu sehen. Ok, vielleicht hat dieses neue Gewerbegebiet hier alles umgepflügt, wäre ja nicht das erste Mal. Aber die neuen Straßen laufen alle in Richtungen, in die ich nicht will. Also rette ich mich mit Hilfe einer halb abgerissenen Brücke über die Eisenbahnlinie, um wenigstens die richtige Richtung einzuschlagen. Das kann ja ein heiterer Tag werden: Noch keine Stunde unterwegs, und schon am improvisieren.

Im Wald überrasche ich einen jungen Fitness-Freak beim Abstecken eines Lauf-/Workout-/Wasauchimmer-Parcours, es ist ihm irgendwie peinlich, daß ich da plötzlich angewandert komme und auf einmal ist er ganz doll damit beschäftigt, an dem Stöckchen rumzubasteln, das er eben als dem Unterholz gezogen hat. Er wartet noch ein paar Minuten, bis ich weiter weg bin -- aber kurz bevor ich um die nächste Kurve biege, muß ich mich einfach nochmal umdrehen. Und da hechtet er schon auf dem Sandweg von Stöckchen A zu Stöcken B und wieder zurück...

Er weiß wenigstens, was er tut. Ich weiß das heute nicht so genau. Es ist einer dieser Tage, an dem Karten und Realität so überhaupt nicht zueinander passen. Den grünen Wanderweg habe ich immer noch nicht gefunden, statt dessen wurschtele ich mich auf Forststraßen durch den Wald, wenigstens stimmt die Richtung so halbwegs. Eine halbe Stunde später starte ich nochmal einen Abstecher nach Norden zum Fluß, vielleicht finde ich ja dort den Wanderweg wieder -- Fehlanzeige. Allerdings gibt es hier einen Radweg, auch halbwegs in die richtige Richtung. Dann, plötzlich, die grüne Markierung. Die hier nach links abbiegt. Hä? Ok, pfeif drauf, weiter geradeaus.

Den Sklep in Ośno lasse ich rechts liegen, mein Rucksack ist noch prall gefüllt mit Getränken. Großmutter sitzt im Garten ihres polnisch-sozialistischen Reihenhauses auf der Gartenschaukel im Mittagsschatten und schaukelt leise. Schräg gegenüber steht ein alter Golf mit laufendem Motor und offener Fahrertür und wartet darauf, daß sein Fahrer zurück kommt. Die Bordsteine sind wieder weiß gestrichen, der Wind macht die Mittagshitze sehr erträglich und ich hätte Lust, mich irgendwo in den Schatten zu legen. Aber wo? Hier neben dem sandigen Feldweg, auf dem ich eben von einem vorbeifahrenden Auto schon total eingestaubt wurde?

Bei den nächsten Häusern kommt mir plötzlich wieder der grüne Wanderweg "entgegen". Wie bitte? Ok, das könnte nützlich sein. Ich war mir nämlich nicht ganz sicher, ob es hier hinter den Häusern wirklich eine Brücke über den Bach gibt. Wenn mir der Wanderweg hier entgegen kommt, wahrscheinlich schon. Nach ein paar hundert Metern Unterholz stehe ich vor der schönsten "Über jedes Bacherl geht a Brückerl"-Situation seit Wochen, balanciere über das morsche Flickwerk aus Holz und hoffe, daß das Ding meine 70 kg Gesamtgewicht (incl. Rucksack...) auch trägt. "Hier könnte man doch eigentlich auch mal seine Füße ins Wasser hängen?" denke ich mal eben, bleibe stehen - und verwerfe die Idee sofort wieder. Denn dieser eine Moment des Stehenbleibens und dumm Guckens hat ausgereicht, um 17 Mücken an mir kleben zu lassen. Och, dann gehe ich vielleicht doch noch ein Stück weiter.

Die Wanderkarte ist heute mehr oder weniger nutzlos, der grüne Weg zweigt schon wieder irgendwo ab, wo ich ihn niemals vermutet hätte. Eigentlich folge ich die meiste Zeit mehr oder weniger einfach irgendwelchen Wegen, die im Wald halt zu finden sind, überprüfe auf der Kartenapp von Zeit zu Zeit die Richtung und irgendwie wird's schon.

Der nächste markante Wegpunkt ist die Bahnlinie, die es zu überqueren gilt. Eine breite Forststraße führt schonmal in die richtige Richtung, der grüne Wanderweg kommt auch mit, aber dann stehe ich vor der nächsten halb abgerissenen Brücke über die tief in den Hügel eingeschnittenen Gleise. Diesmal aber mit 3-Meter-Maschendrahtzaun-Sicherung auf beiden Seiten. Was soll denn DER Mist? Netterweise hat schon jemand für mich den Zaun auf beiden Seiten aufgeschnitten, so daß ich es mir sparen kann, 2 Bahndämme samt Gräben und Unterholz zu durchkämpfen.

Theoretisch muß ich jetzt einfach nur links abbiegen und 5 km direkt parallel zur Bahnlinie laufen, was ich in Ermangelung anderer passender Wege auch mache. Spaß ist das allerdings nicht. Da, wo früher sicherlich mal ein parallel verlaufender Weg war, wurde fleißig gerodet und mit der Fräse alles um/durch/zu und weggefräst. Jetzt habe ich also die Wahl, mich a) die nächsten Kilometer durchs Unterholz zu schlagen oder b) auf der links abgebildeten Schneise weiterzulaufen. Sieht ja erstmal ganz entspannt aus, wa? Besteht aber aus faustgroßen Brocken Erde und Matsch, die die Sonne der letzten Tage bockelhart gegrillt hat. Unter jedem Schritt knurpst und staubt es und fünfhundert Meter kosten soviel Kraft wie ein Kilometer auf einem sandigen Feldweg. Aber im Süden gibt's nur Sumpf, im Norden nur Wege, die nach Norden führen -- und ich will eigentlich nach Osten. Also kämpfe ich mich murrend weiter und verfluche dabei den grünen Wanderweg.

Eine gute Stunde später erspähe ich auf der anderen Seite der Gleise eine Kopfsteinpflasterstraße, überquere die Gleise, trinke vor Glück erstmal meine letzten Getränke aus und wanke über das Katzenkopfpflaster weiter.

Die restlichen Kilometer sind ein wenig reizvoller Spaziergang entlang der Straße. Ich beäuge kritisch die Wolkensituation, für den Nachmittag sind Gewitter angesagt und passenderweise haben sich in den letzten Stunden entsprechende Wolkenberge im Süden aufgetürmt hat. Durch Prabuty laufe ich durch wie ein heißes Messer durch Butter, ich will am Bahnhof den Zug nach Iława noch erwischen und nicht fast 2 Stunden auf den Nächsten warten müssen. 

Hä? Zug? Naja, wieder so ein logistischer Streich meinerseits. In Prabuty habe ich nix passendes zum Übernachtungen gefunden, denn das verlängerte Pfingstwochenende steht vor der Tür und halb Polen will aufs Land fahren. Also habe ich in der nächsten größeren Stadt Iława ein Zimmer für ganze 4 Nächte gebucht. Heute beende ich meine Etappe am Bahnhof in Prabuty und fahre mit dem Zug nach Iława, um morgen früh wieder mit dem Zug hierher zu fahren. Dann geht's nahtlos weiter und so mache ich das, bis Pfingsten vorbei ist und die Buchungssituation sich wieder etwas bessert. (Ja, ich habe eigentlich ein Zelt dabei, aber für die komplette nächste Woche sind durchgehend Gewitter angesagt -- da muß ich nicht unbedingt im Zelt sitzen...)

In Iława ist das Wetter schon ein bißchen weiter und drückt immer mehr Wolkenberge an den Horizont. Als ich vom Bahnhof am See entlang zu meiner Tawerna laufe, gibt es die ersten Tropfen zu den ersten fernen Donnerschlägen und ich bin sehr happy, daß ich rechtzeitig angekommen bin. Erstmal auspacken. Und sich darauf freuen, 4 Nächte im selben Bett schlafen zu dürfen... Der Tag war Murks, weil eigentlich nichts so geklappt hat wie ich es geplant hatte. Aber irgendwie ging's am Ende doch -- und als ich Abends bei meinem Gute-Nacht-Bier sitze, wird mir klar, daß der Tag eigentlich sogar großartig war. Wenn Improvisiertes funktioniert, sollte man froh und dankbar sein...

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