Samborowo (Bahnhof) nach Biesal (Bahnhof)
8 h / 34 km
Heute wird's logistisch etwas kompliziert. Der erste Tag des langen Pfingstwochenendes ist offensichtlich kein guter Tag, um mit dem Zug zu reisen. Um wieder zum Bahnhof Samborowo zu kommen, wo ich gestern meine Etappe beendet habe, gibt es zwei mögliche Züge: 08:43 oder 14:49. Der eine ist ekelig früh, der andere so spät, daß der Tag schon fast wieder vorbei wäre. Also entscheidet sich der pflichtbewußte Wanderer widerwillig für einen frühen Start.
Letzte Nacht war Party in der Taverne, und ich war nicht eingeladen. Mein Zimmer lag dummerweise genau über der Tanzfläche und ich konnte locker einige der Klassiker mitsingen. Gegen Mitternacht bin ich mal runtergetapst und habe vorsichtig gefragt, wie lang die Party wohl noch läuft und zack! - hatte ich den Schlüssel für ein anderes, deutlich ruhigeres Zimmer in der Hand. Super!
Trotzdem fällt mir das Aufstehen schwer. Viel schwerer als sonst. Daß ich zu wenig geschlafen habe, ist nur das kleinere Übel. Viel ätzender: Draußen regnet es ordentlich, hat bereits die ganze Nacht durchgeregnet und soll heute auch den restlichen Tag weiterregnen. Ein sehr starker Schweinehund in mir wünscht sich eigentlich nichts sehnlicher, als im Bett liegenbleiben zu dürfen und dem Regen zuzuhören. Aber die Vernunft siegt. Ich stehe gegen 06:30 auf, gege um 07:30 frühstücken und breche um 08:15 zum Bahnhof auf. Auf dem Weg dorthin werde ich schonmal klatschnaß, es regnet wie aus Eimern. Alleine an einem Samstagmorgen im Regen in einer Kleinstadt in Polen auf dem Bahnsteig sitzen -- was für ein Traumurlaub.
Als der Zug einfährt, hat der Regen aufgehört und Hoffnung keimt auf. In der alten Elektritschka bollert die Heizung gegen die feuchte Morgenkälte an, aber die Scheiben sind beschlagen und der Blick nach draußen bleibt trostlos. 25 Kilometer weiter in Samborowo regnet es schon wieder, arg. Ich drücke mich noch 20 min unter dem Vordach der alten Güterhalle herum, ziehe die Regenhülle über den Rucksack, bereite mir Musik für die Ohren vor, seufze ein wenig herum und irgendwann hilft alles nix und ich stapfe mißmutig los. Raus in den Regen. Eigentlich wollte ich heute bittegerne Pausentag machen, so eine Scheiße...
Ich habe mir für heute viel Strecke vorgenommen, um die morgige Tour zu kurz wie möglich zu halten. Heute der letzte Tag, an dem ich mit leichtem Gepäck unterwegs bin; daher ist jeder Kilometer, den ich schon heute statt morgen laufe, in der Summe etwas weniger anstrengend. Also Kragen hochgeklappt, Foo Fighter angeworfen und vorwärts. Vorwärts durch das erste Dorf, in dem ich prompt falsch abbiege und unter den hämischen Blicken der biertrinkenden Sklep-Mannschaft nochmal eine Ehrenrunde um die Kirche drehe. Vorwärts durch den immerwährenden Regen, dessen Toleranzschwelle sich bei mir inzwischen soweit verschoben hat, daß ich leichten Dauerregen einfach offensiv ignoriere und als Nicht-Regen werte. Sonst wäre mir wahrscheinlich der Spaß an diesem Tag längst vollkommen vergangen. Vorwärts über vermatschte Wege, die im Nichts enden, weil der Bauer sie einfach umgepflügt hat und dort statt dessen lieber Getreide anbaut. Vorwärts und mitten rein in die nächste Großbaustelle, Ostróda baut an einer mehrspurigen Umgehungsstraße -- und ich mal wieder mittendrin.
Der rechts abgebildete Feldweg, der auf der Karte noch so beschaulich aussah und eigentlich nur ein Radweg sein will, ist jetzt die Einflugschneise für die Betonmischer, die mit Vollgas durch den Hohlweg brettern. Mehrfach muß ich mal eben die Böschung hochklettern, um einen LKW vorbeizulassen, die Fahrer scheinen wenig begeistert über den Fußgänger vor ihnen zu sein. Aber was soll ich den machen, zur Hölle?
Das kleine Flußtal weiter im Norden ist das Nadelöhr des heutigen Tages, wenn ich da aus irgendwelchen Gründen nicht durchkommen sollte (z.B.: Großbaustelle?) kann ich mich schonmal auf mehrere Kilometer Umweg einstellen. Ich biege um die Ecke und stehe vor dem Rohbau der schönen neuen Brücke, überall Schilder mit "Uwaga!". Ich studiere das Arbeitssicherheits-Schild, überprüfe meine persönliche Schutzausrüstung (Stiefel? Check! Brille? Check! Kopfbedeckung? Mütze, check! Warnkleidung? Ähm, rote Rucksack-Regenhülle, check!) und entscheide, daß ich baustellentauglich bin. Also Hände ich die Hosentaschen und einfach hindurch geschlendert, ich kann ja Gott sei Dank kein Polnisch.
Brauche ich auch nicht, denn keiner nimmt Notiz von mir. So kann ich mich schön weiter durchs nächste Wohngebiet mogeln, als kleines Geschenk des Tages hört der Regen zwischendurch mal kurz auf. Zum Ausgleich liegen jetzt zwei Kilometer auf dem Seitenstreifen der Europastraße 77 vor mir, es gibt einfach keinen anderen passenden Weg. Mit einem Auge immer im Gegenverkehr, ganz links am Rand, durch die nächste Baustelle. Mann, was freue ich mich darauf, bald in dem Wald abtauchen zu können. Hinter Idzbark ist es soweit, ich kann die ganzen Dörfer und Straßen hinter mir lassen, die LKWs, die kläffenden Hofhunde und die wachsam wackelnden Gardinen in den Fenstern der Häuser, wenn ich im Regen daran vorbeiziehe. Ich würde jetzt auch gerne vor dem Kamin sitzen, in eine Decke eingewickelt, mit einer Kanne Tee vor mir.
Statt dessen sitze eine Stunde später im Wald auf einem nassen Baumstamm, der Regen hat wieder angefangen, und starre etwas mißmutig ins Leere. Ich habe mich zu dieser Pause gezwungen, um mich nach 4 Stunden überhaupt mal kurz hinzusetzen, einen Schluck zu trinken und die Ansammlung von Sand und Geröll aus meinen Schuhen zu leeren. Knurrig. Das ist das Wort, das wohl am besten beschreibt, in welcher Laune ich den Tag absolviere.
Im Wald läuft plötzlich ein Trupp Frischlinge über den Forstweg, ca. 20 m vor mir. "Ach wie süß!", kann ich gerade noch denken. Und "Die sind aber klein, so ungefähr DinA4-Format...", da kommt schon die Mutter Wildschwein hinterher. Und DAS ist verdammt nochmal nicht klein. Eigentlich sogar größer als ich ein Wildschwein in Erinnerung hatte und in jedem Fall deutlich größer, als mir in diesem Moment lieb ist. Die Muttersau bleibt auf dem Forstweg stehen und schaut mich an, deckt dabei den Rückzug ihrer Kleinen. Ich friere förmlich im Laufen ein und kann mich vor Überraschung nicht bewegen und schon ist der Spuk auch wieder vorbei und die Bache verschwindet ebenfalls im Unterholz. Um die Situation ein bißchen aufzulockern (aber vor allem, um gefühlsmäßig wieder die Oberhand zu gewinnen), klatsche und rufe ich noch ein bißchen, bevor ich weitergehe. Und siehe da, einige Frischlinge hatten sich noch direkt neben dem Forstweg versteckt und verschwinden erst jetzt im dichten Wald. Ich warte noch eine Minute, bis Familie Wildschwein etwas Land gewinnen konnte und ziehe weiter meines Weges. Jetzt kann ich auch das seltsame Geräusch zwischen Bellen und Grunzen einordnen, das mich während meiner letzten Zeltnacht auf dem Waldparkplatz so erschrocken hat: Die Bache eben hörte sich sehr ähnlich an. Es waren also doch Wildschweine...
Der Weg durch den Wald ist trotz Regen relativ entspannt. Bei meiner zweiten kurzen Pause an diesem Tag ziehe ich Stiefel und Socken aus und stelle die Füße ins herbstnasse Laub -- was für eine Wohltat!
Das letzte Dorf des Tages serviert als Nachtisch nachlassenden Regen, einen coolen alten Transporter mir unbekannter Bauart und eine Fast-Punktlandung am Bahnhof, so daß ich nur eine knappe halbe Stunde auf meinen Zug nach Iława warten muß. Ich zieh die total durchweichte Jacke und mein Hemd aus und tausche sie gegen ein einigermaßen trockenes Oberteil, trotzdem wird mir langsam saukalt, wie ich da im Wind auf dem Bahnsteig rumstehe.
Der Zug hat eine Viertelstunde Verspätung, auf der Fahrt sitze ich teilweise zitternd und zähneklappernd auf meiner Bank und freue mich unglaublich darauf, aus den insgesamt sehr nassen Klamotten rauszukommen. Irgendwo auf der Strecke stehen wir dann nochmal außerplanmäßig eine zusätzliche Viertelstunde rum und als der Zug endlich in Iława einfährt, ist mir so kalt, daß ich schnellstens Bewegung brauche. Den Weg zurück zur Taverna absolviere ich bewußt in Rekordzeit, um etwas Wärme in den Körper zu bekommen. Und wieder gönne ich mir die beste Belohnung, die es nach einem kalten regnerischen Wandertag gibt: kochend heiß Duschen, bis der Arzt kommt. Danach hänge ich brav alle Klamotten und den Rucksack quer durch das Zimmer an allen möglichen Ecken und Kanten auf. Und um möglichst alles bis morgen Früh trocken zu bekommen, starte ich ein ausgeklügeltes Heiz- und Lüftballett, das den ganzen restlichen Abend in Anspruch nehmen wird. Abendessen fällt aus, ich gehe heute ganz bestimmt nicht mehr raus...
Im Wald läuft plötzlich ein Trupp Frischlinge über den Forstweg, ca. 20 m vor mir. "Ach wie süß!", kann ich gerade noch denken. Und "Die sind aber klein, so ungefähr DinA4-Format...", da kommt schon die Mutter Wildschwein hinterher. Und DAS ist verdammt nochmal nicht klein. Eigentlich sogar größer als ich ein Wildschwein in Erinnerung hatte und in jedem Fall deutlich größer, als mir in diesem Moment lieb ist. Die Muttersau bleibt auf dem Forstweg stehen und schaut mich an, deckt dabei den Rückzug ihrer Kleinen. Ich friere förmlich im Laufen ein und kann mich vor Überraschung nicht bewegen und schon ist der Spuk auch wieder vorbei und die Bache verschwindet ebenfalls im Unterholz. Um die Situation ein bißchen aufzulockern (aber vor allem, um gefühlsmäßig wieder die Oberhand zu gewinnen), klatsche und rufe ich noch ein bißchen, bevor ich weitergehe. Und siehe da, einige Frischlinge hatten sich noch direkt neben dem Forstweg versteckt und verschwinden erst jetzt im dichten Wald. Ich warte noch eine Minute, bis Familie Wildschwein etwas Land gewinnen konnte und ziehe weiter meines Weges. Jetzt kann ich auch das seltsame Geräusch zwischen Bellen und Grunzen einordnen, das mich während meiner letzten Zeltnacht auf dem Waldparkplatz so erschrocken hat: Die Bache eben hörte sich sehr ähnlich an. Es waren also doch Wildschweine...
Der Weg durch den Wald ist trotz Regen relativ entspannt. Bei meiner zweiten kurzen Pause an diesem Tag ziehe ich Stiefel und Socken aus und stelle die Füße ins herbstnasse Laub -- was für eine Wohltat!
Das letzte Dorf des Tages serviert als Nachtisch nachlassenden Regen, einen coolen alten Transporter mir unbekannter Bauart und eine Fast-Punktlandung am Bahnhof, so daß ich nur eine knappe halbe Stunde auf meinen Zug nach Iława warten muß. Ich zieh die total durchweichte Jacke und mein Hemd aus und tausche sie gegen ein einigermaßen trockenes Oberteil, trotzdem wird mir langsam saukalt, wie ich da im Wind auf dem Bahnsteig rumstehe.
Der Zug hat eine Viertelstunde Verspätung, auf der Fahrt sitze ich teilweise zitternd und zähneklappernd auf meiner Bank und freue mich unglaublich darauf, aus den insgesamt sehr nassen Klamotten rauszukommen. Irgendwo auf der Strecke stehen wir dann nochmal außerplanmäßig eine zusätzliche Viertelstunde rum und als der Zug endlich in Iława einfährt, ist mir so kalt, daß ich schnellstens Bewegung brauche. Den Weg zurück zur Taverna absolviere ich bewußt in Rekordzeit, um etwas Wärme in den Körper zu bekommen. Und wieder gönne ich mir die beste Belohnung, die es nach einem kalten regnerischen Wandertag gibt: kochend heiß Duschen, bis der Arzt kommt. Danach hänge ich brav alle Klamotten und den Rucksack quer durch das Zimmer an allen möglichen Ecken und Kanten auf. Und um möglichst alles bis morgen Früh trocken zu bekommen, starte ich ein ausgeklügeltes Heiz- und Lüftballett, das den ganzen restlichen Abend in Anspruch nehmen wird. Abendessen fällt aus, ich gehe heute ganz bestimmt nicht mehr raus...
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