Sorkwity (Jedrychowo) nach Mrągowo
3,5 h / 14 km
Trotz Massagen am Vorabend wanken wir beide mehr oder weniger unflüssig die Treppe runter. In der Restaurant-Scheune dann die positive Überraschung: Das Frühstück wird heute durch ein ordentliches Feuer im Kamin aufgewertet. Wir besetzen natürlich den Tisch direkt am Feuer und während ich am Frühstücksbuffet stehe und überlege, ob ich mir lieber den Rücken wärmen lassen möchte oder entspannt die lodernde Glut im Blick haben möchte, hat Nina genau den gleichen Gedankengang gehabt, sich aber etwas schneller entschieden und mit ihrem Zimmerschlüssel schon mal das Revier markiert.
Wir laufen in einen klaren und warmen Tag hinein und ziehen weiter über die stille Landstraße von gestern. Nina klagt über Füße, ich über Hüfte und überhaupt wirken wir wie zwei stöhnende Krankenhauspatienten, die jeden Schritt erstmal mit einem Ächzen garnieren. Die ersten Schritte nach dem Loslaufen sind dabei immer die Schlimmsten, also besser nicht stehenbleiben... Da passt es ganz gut, daß heute nur kurzer Tag bis Mrągowo ansteht, das auf dem Papier das Zeug zu einem netten Kurort hat (hätte): Seelage, zahlreiche Hotels und Gastronomie.
Hinter dem übernächsten Dorf biegen wir auf kleine Feldwege ab, bei denen man auf den ersten Blick glauben würde, daß sie hinter der nächsten Ecke aufhören. Von hinten kommt der Bauer mit seinem uralten Traktor angefahren und ich rechne schon halb mit irgendwelcher Maulerei, was wir hier auf seinen Feldern machen. Aber statt dessen gibt es ein knapp genicktes "Dzień dobry!" und die Sache ist gut.
Weniger gut ist der Zustand von Ninas Wanderstiefeln, die von ihr als lieb gewonnene Museumsstücke allerdings noch immeer schwer geschätzt werden. Schon vom ersten Tag an zeigten sich zaghafte Auflösungserscheinungen, hier im Wald ist es dann soweit: Eine Sohle löst sich ab. Ich zücke das Paketklebeband, das ich aus diversen Gründen im Rucksack herumtrage und flicke kichernd den Stiefel auf Redneck-Art. Gleichzeitig bin ich ein bißchen stolz auf Nina, daß sie ihre Stiefel jetzt wirklich bis zum bitteren Ende getragen hat.
Unser Hotel entpuppt sich als liebloser Kasten, der zwar einen schicken Balkon mit Seeblick bereit hält, sich darauf aber auch absolut beschränkt. Sperrholzmöbel aus den 90ern, karge Einrichtung, papierdünne Wände. Also Rucksack abwerfen und schnell wieder raus und durch den Ort schlendern. Schon ein paar Minuten später steuert eine Gruppe alter Damen auf uns zu und fragt mich unvermittelt: "Entschuldigung, Kaufland?". Sofort baut sich in mir eine Trotzreaktion auf, ich antworte achselzuckend irgendwas, das zumindest irgendwie Polnisch klingt. Nina hat die Situation sofort durchschaut und schweigt unterstützend, ebenfalls auf Polnisch. "Ach so, Sie wissen es auch nicht..."
Tja, leider. Daß das nur die Spitze des deutschen Eisberges in Mrągowo war, konnten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen.
Erstmal das Eiscafé geentert, mit der Hoffnung auf ein ordentliches Eis (meint: was anderes als das an jeder Ecke verkaufte Soft-Eis). Es gibt richtige Eisbecher, deren Ausmaß uns erst so richtig klar wird, als zwei monströse Erdbeer- und Sahneberge vor die Nase gestellt bekommen. Danach ist uns beiden zwar ein bißchen schlecht, aber zur Gesundung laufen wir einfach noch ein wenig durch den Ort. Leider spuckhäßlich, die Straße gesäumt von aufgegebenen Geschäften und verkrachten Existenzen. Wir kommen zufällig bei Kaufland vorbei und landen auf einem kombinierten Spiel- und Workoutplatz. Von hier aus können wir auf der neu gebauten Seepromenade in Richtung Hotel zurückwackeln.
Irgendwie trifft man hier ständig Leute, die man doch gerade schonmal gesehen hat: Die deutsche Gruppe aus dem Eiscafé, die zwei Damen mit den minikleinen Rucksäcken -- wahrscheinlich alle im Schlendermodus. Am Steg gegenüber des Rathauses trifft gleichzeitig mit uns auch die nach Kaufland suchende Damengruppe von vorhin ein, die von einer anderen passenden Damenriege mit folgenden Worten lautstark begrüßt wird: "Naaa, wart ihr Kaufland?!". Nina und ich müssen uns massiv zusammenreißen, um nicht lautstark gackernd negativ aufzufallen.
Auf dem Hotelparkplatz parkt derweil der 4. Reisebus ein und läßt schonmal erahnen, in was für einem Schuppen wir gelandet sind. Den einsetzenden Nachmittagsregen überbrücken wir mit einem kleinen Mittagsschläfchen und als wir nochmal zum Abendessen in den Ort gehen, singen sich im Bankettsaal die Teilnehmer der Busreisen Masuren 1 und 2 gerade warm. "Lustig ist das Zigeunerleben, faria faria ho." Dazu wird geschunkelt.
Als wir vom Essen zurück ins Hotel kommen, ist die Party der Bustouristen in maßvollem Gange. Nina marschiert auf dem Weg zurück zum Aufzug todesmutig voran mitten durch den Bankettsaal, in dem in schweißgetränkter Luft ein Alleinunterhalter mit blinkendem Akkordeon die Massen bändigt und offensichtlich an die Stühle fesselt. Es wird ein Walzer gespielt, keiner tanzt und als wir schon wieder draußen sind, wünscht sich ein kleiner schelmischer Teil von mir, daß wir ein spontanes Tänzchen aufs Parkett gelegt hätten. Stimmmmmung!
Das Gute-Nacht-Bier an der Hotelbar ist hoffnungslos überteuert, wir sehen außerdem bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal das trostlose Hotelrestaurant, das an ein altersschwaches Erholungsheim der Berufsgenossenschaft erinnert und sind sofort froh, daß wir woanders gegessen haben.
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